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Abenteuerliche Orchideensuche im Münstertal

Text und Fotos: Göpf Grimm

„Hast Du einen Wunsch, wo Du das Kleine Zweiblatt kartieren möchtest?“ hat mich Walter Schmid am Telefon gefragt. „Im Münstertal!“, denn das Tal hinter dem Ofenpass ist fast meine zweite Heimat und das Hotel Chalavaina gegenüber dem Kloster Müstair mein zweites Zuhause. Ende Januar habe ich mich auf die Suche gemacht, aber nicht nach Rosetten oder Eisblumen. Vom botanikversierten Lehrer Valentin Pitsch und vom Forstingenieur Hansjörg Weber habe ich mir bekannte Orchideenplätze und versteckte Feuchtgebiete nennen lassen, um meine Expeditionen sorgfältig vorzubereiten. Die beiden Einheimischen sind ihrerseits an den Ergebnissen interessiert: der Kreisförster für das Projekt Biosphärenreservat Nationalpark – Münstertal, der Lehrer für seine Vorträge über Flora und Fauna des Tales. „Finde ich wohl die winzigen Listera cordata?“ Anfangs Juni bin ich erst in eine Fotowoche nach Island gefahren. Fern im Nordwesten, fast auf dem 66. Breitengrad - was finde ich? - drei Grüne Hohlzungen und daneben im Moos ein Herzförmiges Zweiblatt, nein: zwei, drei, zehn Exemplare! Ein gutes Vorzeichen!


Listera cordata, 1800 m, Foto Göpf GrimmKaum wieder zurück, mache ich mich Mitte Juni auf zur ersten Kartierungsexkursion, ausnahmsweise per Auto. Viertel vor acht Uhr Start auf dem Parkplatz Il Fuorn. Nieselregen. Kein Bein schaut hinauf zum Horst hoch in den Felsen, wo ein Jungadler geschlüpft sein soll; ich auch nicht. Dafür suche ich im God dal Fuorn mit Adleraugen nach dem Pflänzchen, das der sagenhafte Professor Gsell vor über 50 Jahren hier gefunden haben soll. 8 Uhr 30: Hurra, gefunden! Am Wanderweg, Bergföhrenwald, moosige Steine, 13 Listera cordata. Nur 50 Meter vom provisorischen Koordinatenpunkt, den Ruedi Irniger mir ins Aufgabenheft geschrieben hat. Uff! Das fängt wirklich gut an. Weiter. Kurzbesuch im bekannten Wäldchen am Ofenpass; 100 Frauenschühli, teils aufblühend, teils abblühend. Zunehmender Regen. Auf der schattigen Talseite zwischen Tschierv und Fuldera liegen meine nächsten Fixpunkte. Auch da habe ich Glück: zu den zwei aus der Literatur bekannten kommen drei – vier neue Plätze mit hunderten von Listera cordata. Durchdringender Regen: Oben trocken, Füsse nass. Heute kann es mir egal sein. Mit dem Postauto zurück zu meinem PW und von Santa Maria hinauf Richtung Umbrailpass. „Listera cordata, 1730 m ü M am linken Ufer der Muraunza“ steht im Aufgabenheft. Sorgenvoll schaue ich hinunter zum Wildbach: dort, wo sich das Hochwasser in die Schlucht stürzt – nein, dort hat auch der Professor nicht gesucht. Aber wo denn? Er ist wohl wie ich auf dem schmalen Wanderweg geblieben. Aber zuerst führt dieser eine halbe Stunde bergauf, um die Schlucht zu umgehen und ich bin schon seit 12 Stunden unterwegs! Und dann hinunter: 1800 m, 1750 m, 1730 m – nichts! 1700 m - ich habe genug, ich muss ja den ganzen Weg wieder zurück zum Auto. Da - tatsächlich! Da wachsen die Gesuchten aus dem Moos, 23 herzallerliebste Zweiblätter. Hundemüde und überglücklich steige ich wieder bergauf und werde zum Überfluss noch beschenkt durch drei Korallenwurz. Auch nach euch habe ich den ganzen Tag gefahndet!

Rotes Waldvögelein, 1850 m, Foto Göpf GrimmAm nächsten Vormittag finde ich nichts, rein gar nichts. Erst am Nachmittag entdecke ich auf der sonnigen Talseite in einem Feuchtgebiet eine ganze Population von Blutroter Fingerwurz. Dactylorhiza cruenta, aus der Literatur bekannt, aber nicht mehr aktualisiert. In der Umgebung muss es Rote Waldvögelein geben, denn auf der Verbreitungskarte glänzt im Quadranten 9328/3 ein unausgefülltes Ringlein: „Angaben vor 1950, meist Literaturangaben“. Auch mein Gewährsmann Valentin weiss gerüchteweise von Cephalanthera rubra am Sonnenhang. Wo? – nein, wo genau wisse er nicht. Die Suche bringt kein Ergebnis. Bei meiner zweiten Expedition Anfang Juli suchen wir zu dritt den ganzen Hang ab. Eine viel versprechende Blattrosette entpuppt sich bloss als Dunkelrote Stendelwurz, von denen hier Tausende spriessen. Die roten Vögel sind ausgeflogen!
Die dritte Exkursion Ende Juli führt mich durch die stillen Täler Val Vau und Val Mora: weite, menschenleere, wunderschöne Landschaften. Müde bin ich zurück im Hotel. Meine Tischnachbarinnen haben zwar drei Blumenbücher, von Orchideen aber keine Ahnung. „Was ist das für eine Blume: hoch, dicke Köpfe, lilaviolette pinselartige Blüten?“ „Alpen Prachtsscharte; sie heisst auch Riesenflockenblume, sieht aus wie eine kleine Artischocke.“ „Ja, genau! …und dann haben wir noch eine rosarote Blume gefunden, direkt am Wanderweg, so und so ….“ Ich schüttle den Kopf, habe keine Ahnung, was sie mir da beschreiben wollen. „Wir haben sie fotografiert; ich hole die Kamera!“ Erstes Bild: Alpen Prachtsscharte. Selbstzufrieden klopfe ich mir auf die Schulter. Zweites Bild. Mir bleibt die Spucke weg. „Wo haben Sie das gefunden!“ „Was ist es denn?“ „Das habe ich seit einem Monat krampfhaft gesucht. Das Rote Waldvögelein!“ Das happy end ist rasch erzählt: Karte, Wegbeschreibung. Und am nächsten Tag kann ich notieren: Tschierv, Nadelmischwald, 1850 m, am Wanderweg, 5 Cephalanthera rubra, blühend.


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Aktualisiert 23. 03. 2009

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