Pflege von Waldrändern - Tagungsvortrag
Autor und Fotos: Joe Meier
Im Rahmen der Generalversammlung des Waldwirtschaftsverbandes, 4. aargauischer Forstkreis in Erlinsbach am 20.11.2008 hat Joe Meier einen Anregungs- und Motivationsvortrag gehalten.
Um dieses Engagement zu würdigen und diesen wichtigen Beitrag zum Thema Biotop- und Orchideenschutz allgemein zugänglich zu machen, haben wir aus den Vortragsunterlagen diesen Artikel zusammengefasst. Wir halten den Beitrag in der direkten Rede (ohne Anführungszeichen), wobei mit „Sie“ die „Förster“ gemeint sind – aber auch diejenigen, die sich in irgendeiner Form angesprochen fühlen.
Joe Meier, Thomas Ulrich
Orchideenschonung und Orchideenschutz in Zusammenhang mit dem Mähen der Waldstrassenränder und –borde.
Sie haben in Ihren Wäldern sicherlich schon Leute beobachtet, die eifrig Notizen machen, an Stellen stehen bleiben, wo es eigentlich vermeintlich nichts zu sehen gibt. Wir gehören zu den schweizweit tätigen Kartierern von Orchideenstandorten, die für verschiedene Organisationen unterwegs sind.
Warum sind wir heute bei Ihnen?
Zielsetzung unseres Kurzbeitrages ist es, Sie anzuregen, darüber nachzudenken, ob Sie einen Beitrag zur Schonung und zum Schutz der Orchideen in Ihren Wäldern leisten können, und das ohne Mehraufwand, kostenneutral.
Ausgangslage:
Im Juni 08 sind in einem grösseren Waldstück einer Gemeinde, die Waldstrassenränder und Borde abgemäht, gemulcht und z.T. abgestossen worden. Für Sie ist das Alltag.
Eine Woche vorher, hatte ich dort bereits mit der Kartierung begonnen. Da aber die Orchideen noch knospig waren, konnte ich die Kartierung nicht abschliessen.
Nach dem Mähen war eine Bestandsaufnahme natürlich noch weniger möglich - Im Vordergrund zerhackte Dactylorhiza fuchsii.
Bei obiger Aktion sind nach Vergleichszahlen vom letzten Jahr ca. 180 Orchideen geköpft oder mittels Ladeschaufel abgestossen und damit vernichtet worden.
Gegen Ende Juli ist in unserem Privatwald sowie in vielen andern Wäldern ähnliches passiert. Diese Situation hat uns motiviert, das Gespräch mit Ihnen - den Förstern - zu suchen.
Seit Jahren ist das Mähen und Mulchen der Waldstrassen in unseren Kreisen und in aktueller Literatur ein schweiz-weites Thema. Es wäre nicht fair, einzelne Gemeinden zu nennen oder gar Schuldzuweisungen zu machen. Von drei Förstern bin ich jedoch ermutigt worden, diese Sache anzupacken.
Seit 37 Jahren suche und kartiere ich Orchideenstandorte im Aargau, Randen und im ganzen Engadin. Dabei haben wir festgestellt, dass in unserer Gegend immer mehr Orchideen entlang von Wald-Strassenrändern und -borden bestens gedeihen. Die Gründe hierfür sind die optimalen Verhältnisse wie magerer, kalkhaltiger Boden, Lichtverhältnisse und stimmiges Mikroklima.
Zudem werden die Strassen oft mit zusätzlichem, kalkhaltigem Material bearbeitet, was für die meist kalkliebenden Orchideen sehr förderlich ist. Macht weiter so! Denn eine grössere Artenvielfalt in den Wäldern ist sicher im Interesse von uns allen.
Hier eine Auswahl von Strassenrand bewohnenden Wald-Orchideen, die teils schwierig zu sehen sind (speziell aus einer Traktorkabine) und daher zum Teil regelmässig abgemäht werden:
Platanthera bifolia - Zweiblättrige Waldhyazinthe: oft schwierig zu sehen
Dactylorhiza fuchsii - Fuchs Fingerwurz
Epipactis atrorubens - Braunrote Stendelwurz
Epipactis helleborine - Breitblättrige Stendelwurz
Epipactis muelleri - Müllers Stendelwurz
Epipactis purpurata- Violette Stendelwurz
Listera ovata - Grosses Zweiblatt: schwierig auszumachen
Cypripedium calceolus - Frauenschuh: Es hat Frauenschuhe an Strassenrändern, -borden. Offenbar kennt der Förster diesen Platz, sonst würden sie wohl abgemäht. Sie sind durch Eisendrähte gesichert.
Cephalanthera rubra - Rotes Waldvögelein: Eine seltenere Orchidee bei uns; der Standort ist gefährdet, rings herum Strassen, Bord wird gemäht (siehe Bild).
Ein spezielles Problem sind die Neophyten wie z. B. das Drüsige Springkraut Impatiens glandulifera. Innerhalb einer Springkraut-Population habe ich noch nie Orchideen gesehen.
Es ist nicht einfach, dieses Springkraut los zu werden. Mähtechnik und Mähzeitpunkt sind wichtig. Ein Bord Ende Juli gemäht, zeigte Mitte September, dass die abgeschnittenen Pflanzen nochmals ausschlagen und blühen. Hier hilft nur eines:
Jäten, so spät, so viel, so genau wie möglich. Aktion auf 7 Jahre hinaus planen! (Aus Merkblatt Forst Kt. ZH, vergleiche unten)
Unter Umständen könnte man vermehrt Schulen, Vereine, Pensionierte für die Ausrottung des Drüsigen Springkrautes gewinnen - dies nur nebenbei erwähnt.
Ausblick:
Viele Fachleute, darunter Biologen, die AGEO, Orchideenfreunde, unzählige Waldgänger aber auch Förster vom Aargau bis ins Engadin stellen sich immer wieder die gleiche Frage:
Muss das Mähen und Mulchen im Juni bis August sein?
Das Mulchen kommt einer Gründüngung gleich, also einer Anreicherung von Nährstoffen. Wir produzieren Humus.
Je mehr Humus den Waldstrassen entlang erzeugt wird, desto mehr Gras und Kraut haben wir. Mit dem Folgeaufwand, mehr Mähen, mehr Schnittgut abführen bzw. Humus abtragen, Abranden usw. und somit eine Sisyphusarbeit.
Und unsere Orchideen? Vorhandene Orchideen gehen ein, wenn man sie mehrmals knospig oder blühend mäht. Sie können keine Reservestoffe mehr bilden und in ihren Wurzelknollen einlagern. Zusätzlich können sich Orchideen in den nährstoffreichen Böden weder ansiedeln noch vermehren.
- Wenn Vereine Naturschutzgebiete räumen, entfernen sie alles Mähgut, das Düngewirkung haben könnte.
Wie kann man nun für diese Juwelen noch bessere, nachhaltigere Bedingungen schaffen? Wie z.B. vor dem vorzeitigen Mähen bewahren?
Wir haben diese Frage einigen Fachleuten gestellt.
- Die Antworten sind eindeutig:
Sie, die Förster, sind die Fachleute, welche die Orchideenstandorte grossräumig schonen und schützen können. Die Orchideen sind auf Sie und ihren guten Willen angewiesen. - Wir in den Vereinen konzentrieren uns auf Naturschutzgebiete und/oder Lehrpfade; verglichen mit dem Potential der von ihnen betreuten Wälder, sind dies kleine Flächen, jedoch nicht unwichtige von den Inhalten her. Aber auch bei diesen Projekten sind Sie ja meist mit Rat und vor allem Taten dabei.
Unsere Lösungsansätze:
Variante 1 - Markieren:
In Reitnau ist ein Versuch im Gange, indem wir Standorte, entlang der Kantonsstrasse markieren.
Dann gibt es Wälder, mehr als man denkt, wo es dutzende bis hunderte von Standorten hat. Es gibt Waldgebiete, da wachsen 90% der Orchideen entlang der Strassen! Das Markieren, ist unmöglich durch Freiwillige zu bewältigen. Eine Umsetzung ist daher nicht praktikabel. Die Möglichkeit des Markierens, ist somit nur in Ausnahmefällen geeignet.
Variante 1.1:
In Aarau ist ein Einzelversuch eines AGEO-Mitgliedes auch erfolgreich. Es hat dem Förster einzelne Standorte gezeigt. Doch auch dieses System ist mit einem wiederkehrenden Aufwand verbunden (Arbeitsplanung, Orientierung Lohnunternehmer, System ist personenabhängig usw.).
Variante 2 - Offizielle Nachfrage bei der AGEO:
Orchideenstandorte für spezielle Situationen könnten aus unserer Datenbank abgefragt werden. Dazu bräuchten wir die Angaben der Koordinaten / Flurnamen.
- Sie ist sinnvoll bei Strassenneubauten, Einfahrten, wo die Sicherheit tangiert ist, usw.
- Beispiel Zofingen – rotes Waldvögelein. Einer der reichsten Waldvögelein Standorte der Region ginge bei Strassenumbau verloren (Bild siehe oben).
Variante 3 - Richtiger Mähzeitpunkt:
Wir sind der Meinung, dass gute Lösungen einfach sein müssen. Was spricht also dagegen, dass Sie in Ihren Betrieben, den Lohnunternehmern, die Aufträge z.B so erteilen:
Wo immer möglich und vertretbar wird erst ab 1. September bis Anfang März gemäht.
- Die Mäheinsätze sind nur eine Frage der betrieblichen Planung und dauern für den einzelnen Betrieb nur wenige Tage.
- Ihre Mitarbeiter oder die Lohn-Mäher müssen nicht speziell instruiert werden, sie können überall mit den Maschinen durchziehen.
- Einsparungen wären z.B. in der Arbeitsplanung, Folgeaufwände reduzieren sich.
- Die schützenswerten Pflanzen haben im September praktisch alle abgeblüht; hierbei handelt es sich nicht nur um die Orchideen.
- Sie gewinnen viele Freunde. Vernachlässigbar sind die Menschen, die den Wald mit einem Ziergarten verwechseln.
- Ideal ist natürlich, wenn das Mähgut entfernt wird.
- Wir nehmen nicht an, dass wir mit diesem Vorgehen 100% unserer Sorgen los werden. Nur schon 50% wären mehr als letztes Jahr – und es wäre unkompliziert umsetzbar.
- Bis dato haben wir keinen Förster oder Mäher getroffen, der mit diesem Vorgehen Mühe hätte.
- Es könnte sogar sein, dass es Betriebe gibt, wo dies bereits konsequent so gemacht wird.
Soweit unsere Aussagen als Anregungs- und Motivationsbeitrag, quasi als freundschaftlicher Appell. Wir verstehen uns als Brückenbauer, Botschafter zwischen Ihnen und den Orchideen.
Diskussion
1. Frage zu Brombeeren
Orchideen können in durchgängigen Brombeer-Populationen wohl gedeihen, sind aber zurückgedrängt und blühen höchstens an den Randgebieten. Da sich Orchideen über Jahre verstecken können, kommen sie erst dann wieder zum Blühen, wenn für sie die Verhältnisse stimmen, z.B. wenn Brombeeren infolge Lichtmangel oder Verdrängung eingehen. Dort, wo Brombeeren stören, kann man sie also problemlos zurückschneiden. Die allenfalls darunter liegenden Rosetten der Orchideen werden durch die Mähwerke kaum erfasst. (Testgebiet Reckholderhubel Reitnau).
2. Frage zu den Goldruten (Solidago gigantea und Solidago canadensis)
In Goldrutenbeständen können mehrere Orchideen-Arten vorkommen (z.B. Aargauer Zurlinden-Insel). Mähen ist demnach ein Problem hinsichtlich der Orchideen. Es bedarf je nach Blütezeit der Orchideen zwei Einsätze um gegen die Goldrute vorzugehen. Das Schadenspotenzial der Goldruten ist erheblich. Durch die dichten Bestände verdrängen sie die angestammten Lebensgemeinschaften vollständig und stellen dadurch eine ernsthafte Bedrohung der Artenvielfalt dar.
3. Info zu Drüsigem Springkraut (Impatiens glandulifera):
- invasiver Neophyt; steht auf schwarzer Liste des Bundesamtes für Umwelt, Quelle G. Gelpe, Erfahrungen JNM. Ursprung Himalaya. In CH seit 1904.
- einjährige Pflanze, liebt feuchte bis nasse, nährstoffreiche Böden an eher schattigeren Standorten mit hoher Luftfeuchtigkeit. Während Blühzeit hervorragende Bienenweide.
- Vermehrungspotenz ist sehr hoch. Eine einzige Pflanze produziert zwischen 1600 und 4000 Samen. An durchgängigen Standorten können nach dem Absamen auf einem Quadratmeter 30'000 und mehr Samen liegen.
- Schleudermechanismus erklärt die rasche, breit angelegte Vermehrung. Die Samen werden bis zu 7 Meter weit geschossen.
- die bis zu 6 Jahre dauernde Keimfähigkeit der Samen ist verantwortlich für die Standfestigkeit bzw. anhaltende, wiederkehrende Vermehrung.
- Ausrottungsaktion muss auf 7 Jahre ausgerichtet bzw. geplant werden, soll eine Parzelle von dieser Pflanze befreit sein. Die ausserordentliche Keimfähigkeit von 6 Jahren bestimmt die Dauer der Aktion. Auch wenn die behandelte Parzelle ausgerottet erscheint, muss sie jährlich, immer wieder kontrolliert werden.
- Strategie und Technik der Ausrottung: Jäten, so spät wie möglich (Blühbeginn), so viel wie möglich, und so genau wie möglich. Lässt man die Aktion ein Jahr fahren, beginnt man wieder von vorn. Das gejätete Material ist zu entsorgen (z. B. verbrennen). Kompostierung nur durch dafür ausgebildete Fachleute. In grossen Beständen kann die Pflanze auch gemäht werden. Allerdings muss dies bei Blühbeginn zwingend und knapp über dem Boden geschehen.
- Die sanfte Tour: Entzieht man dem Drüsigen Springkraut die Lebensgrundlage - das Licht - verschwindet es nach meiner Erfahrung von selbst (in meinem Wald hat es 9 Jahre gedauert). Dies klappt nur, wenn der Wald auch wirklich abdunkelt, zumacht.
Anmerkung
Es ist völlig klar, dass solche Ausrottungsaktionen kaum durch den Forst ausgeführt werden können. Ich empfehle, Pensioniertenvereine, Schulklassen, Naturschutzorganisationen, Jugend-Naturschutzgruppen usw. in diese Aufgaben einzubinden; mit Betreuung bzw. Instruktion eines Fachmannes vom Forst selbstverständlich. Aus meiner Sicht, sind auch die Privatwaldbesitzer in die Pflicht zu nehmen.
Danksagung
Herzlichen Dank an die Herren Ruedi Meier und Ruedi Peter für das Durchlesen des Manuskriptes und Einbringen von Vorschlägen und Ergänzungen.
Impressum & Datenschutz | Kontakt | Mail Webmaster | AGEO © 2025
Aktualisiert 30. 06. 2009
