Orchideen am Bahnhof Vallorbe (19.6.10)
und eine Zufallsvisite im Aveyron
Autor und Fotos: Eduard, Béatrice und Thomas Stricker
Es ist ein offenes Geheimnis, dass unsere einheimischen Orchideen ganz besondere Anforderungen an ihre Lebensräume stellen und am besten dort gedeihen, wo der Mensch ein wenig, aber nicht zuviel eingreift. Es ist damit kein Zufall, dass Orchideen oft am Wegrand stehen oder an Orten, wo zwar gelegentlich gemäht und die Vergandung bekämpft wird, aber dennoch keine Nutztiere weiden. Und genau einen solchen Ort findet sich in alten, aber nur beinahe verlassenen, Bahnanlagen wie wir dies in Vallorbe oder eben in Lapanouse-de-Cernon Gare im Aveyron angetroffen haben.
Teil 1: AGEO-Exkursion am 17.6. nach Vallorbe, VD, Suisse
Dem heutigen Thema entsprechend treffen sich die meisten Vereinsmitglieder entlang der Jurafussroute im IC Neigezug 1510. Dass uns wohl ein Regentag erwartet, erkennen wir schon daran, dass unser Zug in der Nacht zuvor an einem Schlammschlacht Openair in der Ostschweiz derart verschmutzt worden ist, dass er in Biel spontan zur Reinigung eingezogen wird. Ein sauberer Ersatzzug bringt uns weiter nach Yverdon und ein Expresspostauto via Autobahn und Nationalstrasse nach Vallorbe, wo der Rest der Gruppe auf uns wartet.
Schon 100 Meter südwestlich vom Bahnhofsgebäude erkennen wir an einem Bahnbord die ersten Orchideen. Zwischen den Föhren entdecken wir Aceras antropophorum und Himantoglossum hircinum. An anderen Pflanzen fällt uns eine Skabiose mit einem wunderschönen Pinselkäfer (Trichius fasciatus) auf. Am
Fusse der grossen Aufschüttung mit dem Aushub des Mont d’Or Tunnels findet eine Gruppe eine noch nicht aufgeblühte Epipactis atrorubens.
Durch einen steilen Entwässerungstunnel erreichen wir das Vorfeld des Tunneleingangs mit weiteren Epipactis und einigen Dactylorhiza fuchsii einschliesslich eines Albinos. Die Strecke durch den Mont d’Or nach Frasne im franz. Jura wird von zahlreichen Güterzügen und den 8 TGVs pro Tag zwischen Lausanne und Paris befahren. Die etwas verlassenen Bahnanlagen umfassen noch zahlreiche Einrichtungen aus dem Dampfzeitalter, wie einen Wassergalgen, eine Drehscheibe und je ein Lokdepot für schweizerische und französische Zugfahrzeuge.
Dazwischen die Magerwiesen und Schotterplätze mit weiteren Epipactis, Dactyl. fuchsii und Gymnadenia. Neben der Drehscheibe ein roter Pilz wie im Märchen. Im Schotter neben zwei alten Weichen entdeckt Walter Lüssi ein seltenes Leinkraut, das nach der Flora Helvetica nur noch an zwei Orten in der Schweiz zu finden ist. Die Flora am Felshang umfasst Alpenpflanzen wie die Felsennelke, das rote Seifenkraut, Steinnelke und Leberbalsam, was in Anbetracht der Höhe von 808 m.ü.M. nicht weiter erstaunt. Das Mittagessen findet unter den Vordächern der Kantine des SNCF Personals statt, weil es zu regnen beginnt. Nach dem Mittagessen steigen wir zum Wasserreservoir oberhalb des Bahnhofgebäudes hoch, wo im Wald eine Waldhyazinthe und auf dem Dach des Reservoir einige Ophrys insectifera blühen.
Der Pyrenäen Bergflachs ist so klein, dass dieser beim Fotografieren vergessen geht. Die Magerwiese rund ums Reservoir beherbergt viele interessante Pflanzen (vgl. Pflanzenliste). Die Rundreise auf dem sicheren Waldweg ist von vielen Stendel- und Nestwurzen gesäumt, sowie von E. mülleri, E. atrorubens und eine E. microphylla die kurz vor dem Aufblühen einen typischen Blütenbogen bildet. Der Berichterstatter verirrt sich auf dem nassen, unsicheren Pfad und kam dabei am einzigen roten Waldvögelein vorbei. Während des Rundganges regnet es leicht, aber dauernd, und man kann einige Insekten beobachten wie sie sich unter den Blüten und Blättern vor dem Regen in Sicherheit bringen, u.a. eine grosse Libelle, die sich in vielen Fotosammlungen wiederfinden wird. Nach dem Wald erreichen wir ein Bahnbord mit vielen Ophrys holoserica, Anacamptis pyramidalis und vielen weiteren Pflanzen der Magerwiesen. Die verschiedenen Ophrys-Artensind auch noch auf den Schotterstreifen zwischen den Gleisen des verlassenen Güterbahnhofs anzutreffen. Auf dem Rückweg zum Bahnhof beobachten wir eine Kolonie Goldhähnchen in einem alleinstehenden Baum am Wegrand. Wir blicken dabei auf das etwas verlassen wirkende Grenzwächterstädtchen Vallorbe, an dessen Bahnhof der Zug stets schon abgefahren oder noch nicht eingetroffen ist. Die Nigritella austriaca auf dem nahen Mont d’Or sind dieses Jahr so sehr verspätet, dass wir diesen Teil der Exkursion überspringen. Etwas früher als geplant, nehmen wir einem Regionalzug via Cossonay und Yverdon in Richtung Ostschweiz.
Ein grosser Dank gehört dem Dreierteam Göpf, Paolo und Albert, das sich diese interessante Exkursion ausgedacht und perfekt vorbereitet hat.
Teil 2: Visite à la Gare de Lapanouse-de-Cernon im Aveyron
Anlässlich einer Familienreise ins Aveyron, Frankreich im Mai haben wir uns vorgenommen, einen kurzen Artikel über den originellsten der besuchten Standorte zu schreiben, und dies war - genau wie in Vallorbe - ein beinahe verlassener Bahnhof.
Auch in Frankreich profitieren die Orchideen von einem fast vergessenen Gelände, das einer Bahngesellschaft gehört. Der Hinweis auf den Standort am abgelegenen Bahnhof des Dorfes Lapanouse-de-Cernon stammt aus alten Angaben einer AHO Reise vor mehr als 20 Jahren. Für betagte Orchideenfreunde sind solche Hinweise willkommen, da sie uns schnell zu den seltenen Pflanzen führen und so unsere abgenutzten Gehwerkzeuge schonen. Gut zugängliche Fundorte an Bahnhaltestellen sind in der Schweiz besonders im Jura oder bei den Bergbahnen zu finden, doch im Aveyron, Frankreich sind sie eine ganz besondere Überraschung, weil niemand in dem kleinen Seitental von St. Rome-de-Cernon überhaupt noch eine Bahnlinie vermuten würde. Wir fuhren an einem Abend noch rasch ins liebliche Tal, um am Wegrand bei La Bastide noch einige Dactylorhiza elata zu fotografieren. Beim Dorf Lapanouse-de-Cernon biegt eine kleine Fahrstrasse nach rechts ab und führt den Hang hinauf zum verlassenen Bahnhof. Zu Fuss muss es für die Dorfbewohner früher fast 45 min Bergwanderung hoch bis zum eigenen Bahnhof gewesen sein - kein Wunder, dass schon lange kein Personenverkehr auf diesen Geleisen mehr anzutreffen ist.
Das „Bahnhöfli“, das in keinem Fahrplan mehr zu finden ist, steht jedoch an neu geschotterten Geleisen. Es ist nur noch eine Ruine ohne Fenster und Türen, ein ganz erbärmlicher Anblick. Das muss heute eine reine Güterbahn zu einem Steinbruch oder zu einer Fabrik sein, dachten wir. Die Strecke führt von der Hauptlinie in St. Rome-de-Cernon durch einen Tunnel ins Seitental und dann leicht steigend, die Dörfer meidend, durch Wälder und Wiesen der Bergflanke entlang bis auf die Hochebene der Causses, wo sie mitten auf dem Felde bei einer Fabrikanlage endet.
Auf dem Areal der Bahnhofsruine jedoch, welch eine Überraschung (!), standen über 20 stattliche Exemplare der seltenen Ophrys aveyronensis. Sie waren von je vier kleinen Schottersteinen umgeben und so vor dem Zertreten geschützt. Entlang der Strasse waren ebenfalls Steine platziert, um die ahnungslosen Besucher daran zu hindern, den Wagen in die Wiese abzustellen. Wir waren entzückt, dass es so einen aussergewöhnlichen Standort überhaupt noch gibt. Neben den Ophrys aveyronensis fanden wir auch Ophrys passionis, Ophrys scolopax, Aceras atropophorum und im Wald Cephalanthera longifolia. Bei einem zweiten Besuch am Pfingstmontag erkannten wir an den Fahrzeugen der zahlreichen Botaniker aus halb Europa die Bedeutung dieses Standortes. Laut deren Angaben gibt es in den Wiesen rund um den verlassenen Bahnhof auch viele weitere mediterrane Orchideen z.B. Ophrys lutea. Ein Belgier mit Wohnmobil besucht den Standort regelmässig seit 20 Jahren.
Von einem seltsamen Geräusch beim Fotografieren aufgeschreckt, entdeckten wir auf den Schienen eine zum Pedalo umgebaute Draisine mit sechs Touristen, die freudig winkend vorbeirollten. In Abständen von 2 Minuten folgten zehn weitere solcher Schienenfahrzeuge, die zum Glück nicht anhalten konnten. Die lustige Gruppe wurde abends mit einer Diesellok samt ihren Fahrzeugen wieder talaufwärts zurück nach Sainte Eulalie hochgezogen.
Trotz den vielen Roquefort Käsereien (und deren gefrässigen Schafherden) fanden wir im Departement Aveyron noch einige weitere Orchideen Standorte, zum Beispiel die bekannte Pferdeweide in der Nähe von Crassous, doch nie wurde die Vielfalt des Bahnareals von Lapanouse-de-Cernon erreicht.
Teil 3: Exkursionsfotos online betrachten / austauschen
In unserem Mitteilungsblatt wollen wir unsere Berichte jeweils kurz halten und nur eine Auswahl der allerbesten Bilder abdrucken. Im Zeitalter der digitalen Fotografie drängt es sich auf, die übrigen Bilder im Internet den Lesern digital zur Verfügung zu stellen. Die Fotos können dort leicht betrachtet werden. Dazu gibt es bei verschiedenen Internetdienstleistern sogenannte Webalben für das “Photo Sharing” (Bilderaustausch). Für diese und weitere Exkursionen wurde ein Konto eröffnet und die Bilder der beiden kleinen Exkursionen mit der folgenden Adresse hochgeladen:
http://picasaweb.google.com/ageo.excursionen
Wir hoffen, dass der eine oder andere Exkursionsberichterstatter und Teilnehmer in Zukunft weitere Bilder hochladen wird. Wer dies tun möchte, erfrage sich die Kennung, das Password und eine Kurzanleitung dazu per e-mail bei Thomas Stricker.
Viel Spass dabei!
Pflanzenliste
gem. einer Liste von Albert Kurz ergänzt von Ursula Lienhard
Echter Wundklee | Anthyllis vulneraria ssp. vuln. |
Bärenschote | Astragalus glycyphyllus |
Östliches Zackenschötchen | Bunias erucago |
Sichelblättriges Hasenohr | Bupleurum falcatum |
Knäuelblütige Glockenblume | Campanula glomerata |
Pfirsichblättrige Glockenblume | Campanula persicifolla |
Ackerglockenblume | Campanula rapunculoides |
Rundblättrige Glockenblume | Campanula rotundifolia |
Rote Spornblume m. weissen Blüten | Centrantus ruber var. albinus |
Steinnelke | Dianthus sylvestris |
Gelber Fingerhut | Digitalis lutea |
Natternkopf | Echium vulgare |
Rosmarin-Weidenröschen | Epilobium dodonaei |
Leberbalsam | Erinus alpinus |
Nordisches Labkraut | Galium boreale |
Echtes Labkraut | Galium verum ssp. verum |
Flügelginster | Genista sagittalis |
Schlitzblättriger Storchschnabel | Geranium dissectum |
Blutroter Storchschnabel | Geranium sanguineum |
Schopfiger Hufeisenklee | Hippocrepis comosa |
Trugdoldiges Habichtskraut | Hieracium cymosum |
Färberwaid | Isatis tinctoria |
Laserkraut | Laserpitium ? |
Waldplatterbse | Lathyrus sylvestris |
Frühlingsplatterbse | Lathyrus vernus ssp. vernus |
Gemeines Leinkraut | Linaria vulgaris |
Niederliegendes Leinkraut | Linaria supina |
Purgier Lein | Linum catharticum |
Spargelerbse | Lotus maritimus |
Echter Fichtenspargel | Monotropa hypopitys |
Gelbe Hauhechel | Ononis natrix |
Kriechende Hauhechel | Ononis repens |
Kleewürger (Sommerwurz) | Orobranche minor |
Sprossende Felsennelke | Petrorhagia prolifera |
Rundköpfige Rapunzel | Phyteuma orbiculare |
Rundblättriges Wintergrün | Pyrola rotundifolia |
Gelbe Resede | Reseda lutea |
Quirliger Salbei | Salvia verticillata |
Rotes Seifenkraut | Saponaria ocymoides |
Scharfer Mauerpfeffer | Sedum acre |
Weisser Mauerpfeffer | Sedum album |
Nickendes Leimkraut | Silene nutans ssp. nutans |
Aufrechter Ziest | Stachys recta |
Edelgamander | Teucrium chamaedrys |
Pyrenäen Bergflachs | Thesium pyrenaicum |
Bergklee | Trifolium montanum |
Purpurklee | Trifolium rubens |
Königskerze | Verbascum densiflorum |
Orchideen | |
Puppenorchis | Aceras atropophorum |
Pyramidenorchis (Knospen) | Anacamptis pyramidalis |
Weisses Waldvögelein | Cephalanthera damasomnium |
Schwertblättriges Waldvögelein | Cephalanthera logifolia |
Fuchs' Knabenkraut | Dactylorhiza fuchsii |
Braunrote Stendelwurz | Epipactis atrorubens |
Breitblättrige Stendelwurz | Epipactis helleborine |
Kleinblättrige Stendelwurz | Epipactis microphylla |
Müllers Stendelwurz | Epipactis muelleri |
Mückenhändelwurz | Gymnadenia conopsea |
Wohlriechende Händelwurz | Gymnadenia odoratissima |
Bocks-Riemenzunge | Himantoglossum hircinum |
Großes Zweiblatt | Listera ovata |
Vogel-Nestwurz | Neottia nidus-avis |
Hummelragwurz | Ophrys holoserica |
Fliegenragwurz | Ophrys insectifera |
Helmorchis | Orchis militaris |
Zweiblättrige Waldhyazinthe | Plantanthera bifolia |
Orchideen (neben der Route bzw. beim Rekognoszieren gesichtet) |
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Rotes Waldvögelein | Cephalanthera rubra |
Breitblättriges Knabenkraut | Dactylorhiza majalis |
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Aktualisiert 22. 09. 2010
