Flachdächer als Ersatzbiotope für Orchideen
Autor und Fotos: Roland Meier
Um die negativen Auswirkungen der intensivierten Bebauung zu reduzieren, wurden in den letzten Jahrzehnten enorme Anstrengungen unternommen, Dachdächer optimal zu begrünen. Gleichzeitig werden so auch Ersatzbiotope für verlorengegangenes Kulturland geschaffen. Bestanden die ersten Dächer vorwiegend aus einer dünnen Kiesschicht, werden heute leichte Substratmischungen auf der Basis von Lava, Bims und Blähschiefer verwendet. Diese haben den Vorteil, dass sie über ein hohes Wasserspeicherungsvermögen verfügen; mit dem Resultat, dass weniger Wasser in das Entwässerungssystem gelangt, was auch ökonomisch von Bedeutung sein kann. Durch Verdunstung des im Substrat gespeicherten Wassers wird zudem der Umgebung Feuchtigkeit zugeführt, was zu einer Abkühlung des Substrats und auch der darunter liegenden Räumen führt. Untersuchungen haben ergeben, dass der Temperaturunterschied bis zu 3-5°C gegenüber nicht-begrünten Dächern betragen kann.
Die meisten Dachflächen werden anfänglich mit speziellen Dachkräutermischungen angesät. Je nach Mischung beträgt ihre Wuchshöhe 20-50 cm. Einmal angewachsen, benötigen sie praktisch keine Unterhaltsarbeiten mehr. Ein bis zwei Kontrollgänge pro Jahr zwecks Eliminierung von aufkommenden Bäumen und andern unerwünschten Pflanzen, reichen in der Regel aus.
Was früher niemand für möglich gehalten hatte, ist eingetreten: Nebst angesäten Pflanzen haben sich innerhalb weniger Jahre auch Orchideen eingefunden.
Leider ist es den Wenigsten von uns gegönnt, begrünte Flachdächer zu besuchen.
Durch meine Tätigkeit mit den Aussaatversuchen von Cypripedium calceolus war ich auch in Kontakt mit Spezialisten an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Fachgruppe Dachbegrünung gekommen. Mit ihnen hatte ich im Mai 2010 die einmalige Gelegenheit, an einer ganztägigen Exkursion die schönsten Orchideendächer der Schweiz zu besuchen. Was uns da geboten wurde, war schlicht überwältigend. Auf dem Dach des Kantonspitals St. Gallen ein rotes Meer von Dactylorhiza fuchsii, Dactylorhiza majalis und Dactylorhiza incarnata. Ein Highlight der besonderen Art war der Besuch der REHA-Klinik in Bellikon: Rosetten von Spiranthes spiralis. 2009 wurden davon 1600 Exemplare gezählt. Natürlich durfte die stadtzürcherische Wasseraufbereitungsanlage in Wollishofen nicht fehlen. Auf 3 ha Dachflächen wurden dort 2009 10 Orchideenarten mit >11000 Exemplaren gezählt. (über die AGEO-Exkursion auf diese Dächer wurde im Heft 2/2012 berichtet).
Die Frage, welche alle beschäftigt lautet: Wie gelangen diese Orchideen auf die Dächer? Beim Wasserwerk Wollishofen hat man insofern eine Vermutung, als dass 1914 beim Bau das Aushubmaterial auf die Dächer ausgebracht wurde und damit wohl auch Orchideen. Wie gelangten aber die Spiranthes auf das Dach in Bellikon? Die einzigen anderen beiden Standorte im Kanton Aargau liegen in Küttigen und Densbüren, 23 km Luftlinie entfernt! Eine Möglichkeit besteht darin, dass die Samen mit dem Wind transportiert wurden. Gleichzeitig müsste aber, gerade bei pasteurisiertem Substrat, auch der spezifische Mykorrhizapilz anwesend sein. Fragen über Fragen!
Nun kommt noch der Umstand dazu, dass erst einige Jahre nach Erstellung eines Daches die ersten Orchideen gesichtet werden können. Eine Rückverfolgung aller Vorgänge während dieser Periode ist bislang nicht möglich gewesen.
Der Versuch
Deshalb hatte ich mich entschlossen, ein geplantes Geschäftshaus in Unterentfelden ab Baubeginn über die nächsten Jahre zu begleiten.
Substratmischung Im November 2011 wurde dieses Gebäude mit einer Dachfläche von 1630 m2 erstellt.
Das Dach mit einem Neigungswinkel von ca. 2% wurde mit einem mineralischen Schüttstoffgemisch aus Blähschiefer, Bims und geringen Anteilen organischer Substanz in einer Schichtdicke von ca. 8 cm bedeckt. Zusammen mit der Geschäftsleitung und dem Architekturbüro konnte ich erreichen, das für mich auf dem Parkplatzareal innerhalb einer Ruderalfläche mit Wandkies eine identisch aufgebaute Versuchsfläche (Folie, Flies und 8 cm Substrat) von 25 m2 angelegt wurde. Damit soll über die kommenden Jahre ein Vergleich der aufkommenden Vegetation auf dem Dach mit derjenigen der Versuchsparzelle gemacht werden.
Im März 2012 erfolgte die Aussaat mit der UFA-Dachkräutermischung 49 CH auf dem Dach wie auch auf der Versuchsfläche. Das Basissaatgut stammte von Pionierstandorten, Felsensteppengesellschaften, sowie Trocken- und Magerwiesen des schweizerischen Mittellandes.
Erste Resultate
Substratmischung Am 22. Mai 2012 besichtigte ich zum ersten Mal die Dach- und Versuchsfläche.
Ich war erstaunt über die in so kurzer Zeit zur Blüte gelangten Pflanzen. Die Flächen präsentierten sich, als ob sie bereits vor einem Jahr gesät worden wären. Sowohl auf dem Dach wie am Boden konnten u.a. folgende ausgesäte Pflanzen bestimmt werden:
Achillea millefolium, Papaver argemone, Dianthus carthusianorum, Verbascum nigrum und Chrysanthemum praecox.
Zusätzlich auf dem Dach: Salvia pratensis. Plantago major, sowie Betula sp. und Salix sp. waren selbständig eingeflogen. Die Baumsprösslinge wurden, so weit als möglich, ausgerissen.
Zusätzlich auf dem Versuchsfeld: Tussilago farfara (nicht gesät); interessanterweise nur entlang der Grenze zwischen Ruderalfläche (Kies) und Versuchsfeld.
Weiteres Vorgehen:
Zweimal jährlich werde ich im Frühling und im Herbst die Pflanzen auf dem Dach und auf der Versuchsfläche kartieren.
Vergleiche zu diesem Thema auch die folgenden AGEO Exkursionsberichte zu Flachdächern: 3/2011 und 2/2012.
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Aktualisiert 29. 11. 2012
