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Funtana Chistagna im Val d'Assa (Teil 2)

Autor und Fotos Joe Meier

Die ersten „Forscher“ kamen aus Sur En

Grüne Hohlzunge Coeloglossum viride und Gestreifter Seidelbast Daphne striata (Foto Joe Meier)Abb. 43 Grüne Hohlzunge Coeloglossum viride und Gestreifter Seidelbast Daphne striata Laetiporus sulphureus Gemeiner Schwefelporling, Resgia (Foto Joe Meier)Abb. 44 Laetiporus sulphureus Gemeiner Schwefelporling, Resgia Weiter in den 70-iger Jahren stand ein Besuch in der Besen­beiz im Camping Sur En an. Vier ältere Mannen von Sur En sas­sen dort. Die Namen weiss ich nicht mehr (jedenfalls Jäger, Bienenzüchter und Zöllner). Wir erzählten denen die Geschichte von einer Bergfee auf Funtana Chistagna. Das war nichts Neues für die. Ja, wir stachen gar in ein Wespennest. Es wurde merklich lauter in der Beiz. Denn, drei dieser Männer waren in jun­gen Jahren zusammen in dieser Höhle bzw. davor. Das muss so in den 1920-iger Jahren gewe­sen sein. Sie wollten ein Treffen mit der Fee. Man merkte bald, dass sie nicht gerne darüber berichteten; es war ihnen gar peinlich – endete dann allerdings in so etwas wie plagiieren. Und sie waren jene, die die provisorische Leiter zum Höhlen­eingang bauten und anlegten. Diese Männer hatten noch eine Information für uns, die nirgends so vermerkt ist: Aus der Höhle dringe ca. alle 20 Minuten ein Seufzen der Bergfee, das unheimlich sei und durch Mark und Bein gehe. - Dies könnte auf die Namensgebung Funtana Chistagna hinweisen.

Die Männer rieten uns ab, die Höhle je aufzusuchen, gar zu betreten. Noch immer stand ihnen der Schreck ins Gesicht ge­schrieben. Was war passiert? Als sie ihre provisorische Leiter damals am Höhleneingang unten anlegten, um in den Schlund zu gelangen, dröhnte aus dem Innern ein dämonisches Seuf­zen. Der Erste, der gerade so im Höhleneingang war und die übrigen auf der Leiter dorthin, flüchteten purzelnd Hals über Kopf ins Tal, als wären sie dem Teufel begegnet. Die Leiter liessen sie zurück - niemals mehr würden sie an diesen Ort des Grauens zurückkehren. - Das wollten/mussten wir doch hören und sehen, das konnte doch gar nicht sein, diese Angsthasen!!!


Nun waren wir dran

Bach Val d'Assa, Engpass vor Funtana Chistagna (Foto Joe Meier)Abb. 46 Bach Val d'Assa, Engpass vor Funtana Chistagna Val d'Assa mit Blick auf Arina lks, Muttler rechts mit Schnee (Foto: Joe Meier)Abb. 45 Val d'Assa mit Blick auf Arina lks, Muttler rechts mit Schnee Höhlenschlund Funtana Chistagna, Wasserfall (Foto Hans Schneebeli)Abb. 48 Höhlenschlund Funtana Chistagna, Wasserfall (Foto Hans Schneebeli) Neben-Höhlenschlund Funtana Chistagna, Wasserfall (Foto Hans Schneebeli)Abb. 47 Neben-Höhlenschlund Funtana Chistagna, Wasserfall (Foto Hans Schneebeli) Bevor wir den beschwerlichen Weg wieder einmal unter die Füsse nahmen, suchte ich das Gespräch mit dem ehemaligen Forstingenieur von Ramosch. Übrigens dieser ist bald 90 Jahre alt, hat u.a. über Jahr­zehnte Orchideen im Engadin kartiert. Ihn befragte ich, was er von der Funtana Chis­tagna halte. Er meinte, dass dieses Seufzen wohl sein könnte, aber es stamme vermutlich von einem natürlichen Siphon im Innern der Höhle, der sich mit Wasser fülle und in ziemlich regelmäßigen Zeitabständen entleere. Diese Entleerung bewirke wohl dieses Seufzen. Er selbst hätte dieses noch nie gehört. Trotz dieser kühlen, wissenschaftlichen Beurteilung - sie war ernüchternd - liessen uns diese Höhle und die Bergfee nicht mehr los. Ich selbst wagte es mehrmals alleine, ohne Erfolg. Einmal war zu viel Wasser am Fall, dann war plötzlich die Leiter verschwun­den, weggespült vermutlich. Die vorderen 10 Meter des Schlundes waren, wenn wenig Wasser floss, relativ leicht zu bewältigen. Weiter traute ich mich nicht hinein. Es war dunkel, unheimlich und ich war schlecht ausgerüstet für eine "Höhlen­erforschung". Doch die Bergfee liess uns kaum mehr schlafen, wenn wir im Unterengadin in den Ferien weilten.

Das verpasste Interview mit der Bergfee

Fontana Chistagna, Eingang in Höhlensystem (Foto Hans Schneebeli)Abb. 49 Fontana Chistagna, Eingang in Höhlensystem (Foto Hans Schneebeli)Die nächste Expedition so um ca. 1987 herum, haben wir dann etwas besser vorbereitet. Ausgerüstet mit mehreren Kameras, Blitzgeräten und einem Tonbandgerät - wir wollten das Seuf­zen aufnehmen oder ein Interview mit der Fee nicht verpas­sen!!! Taschen- und Stirnlampen, schwere Ersatz-Sätze von Batterien waren im Gepäck. Das war damals so nötig, denn in der Höhle war es sehr feucht. Die Blitzgeräte funktionierten schlecht. Solide bekleidet, mit schwerem Gepäck, strebten wir der Funtana Chistagna zu. Wir hatten es gut getroffen. Vor dem Eingang war ein Lawinenkegel von etwa 6 bis 8 Metern Höhe. Über diesen hinweg, konnten wir von oben her in den Schlitz des Höhleneingangs rein- und runterklettern. Siehe Pfeil im Bild; man muss sich nur noch die Schneedecke vorstellen. In den ersten paar Metern nach dem Höhlen­eingang gibt es eine bade­wannen-ähnliche Felsengrotte, viel Quellwasser strömt dort ohrenbetäubend durch. Diese "Badewanne" war z.T. mit grossen Steinen aufgefüllt - vermutlich ganz normale Fels­abbrüche aus und in der Höhle. Das hatten wir bei früheren Begehungen übersehen. Sofort erinnerten wir uns an die Aus­sage von Nicolin Bischof. Das musste der Siphon sein. Also Schuhe, Socken ausziehen und die paar Steine, die offenbar das Seufzen verhinderten, aus der Badewanne räumen. Leichter gesagt als getan. Das Wasser war knietief, eiskalt, die Steine so schwer, dass wir dieses Unterfangen recht bald auf­geben mussten; da kamen wir selber drauf…

Und wo ist die Bergfee?

Die weitere Erforschung der Höhle, in der ein angst-einflös­sendes Wasserrauschen omnipräsent war, endete in einer einzigen Enttäuschung. Vor allem konnte man den Lärm drin­nen keiner Richtung zuordnen. Die Höhle ist an den Innen­wänden äusserst schmutzig, das Hochsteigen, Durchzwängen, die Verzweigungen, die Enge, das Auf und Ab erwiesen sich als sehr glitschig, gefährlich, gruselig, unheimlich. Die Eng­pässe, Orientierungslücken machten uns bange. Halten die Felsbrocken über uns. Was tun, wenn sich einer verschiebt, wenn wir drinnen sind? Ein Ende des Höhlensystems konnten wir nicht ausmachen. Die umherliegenden Brocken zeigten, dass der Berg immer in Bewegung sein müsste. Nein, das war nichts für Anfänger. Nach ca. 60 Metern Kraxelei kehrten wir geläutert, froh und glücklich mit weichen Knien, wieder ins Freie zurück. Das Saubermachen, draussen auf dem Schneefeld ist unvergesslich; fand auf tiefstem Hygiene-Niveau statt. Waren die verdreckten Kameras und Geräte noch zu retten? Von der Fee – keine Spur.

Es war danach unser Ziel, noch besser ausgerüstet (z.B. mit Fischer-Stiefeln und entsprechendem Gerät), an diesen Ort zurückzukehren und die Brocken aus der Grotte zu hieven. Inzwischen bin ich älter geworden und kann solche verrückten Dinge kaum mehr verwirklichen. Aber es wäre schön, wenn eines Tages, das Seufzen der Bergfee von Funtana Chistagna ins Tal klingen würde. Wer weiss!!!

In den Neunzigerjahren kletterten Revierförster Riatsch und seine Gemahlin durchs Höhlensystem. Sie stellten Erstaun­liches fest. Nämlich, dass sie nach mehrstündiger Kletterei im Kreise gegangen waren. So bleiben immer noch Geheimnisse. Kein Geheimnis ist, dass es schlanke und ranke Menschen jedenfalls leichter haben, das System zu bewältigen…

Auf der Suche nach mehr Informationen über die Funtana Chistagna, erhielt ich kürzlich via Duri Könz die nachstehende Geschichte zugestellt. Damit konnten meine bislang dürftigen bisweilen sich widersprechenden Informationen über die Sage etwas aktualisiert werden.

Der letzte Edle von Remüs.

Burgruine Tschanüff Ramosch (Foto Joe Meier)Abb. 50 Burgruine Tschanüff RamoschDer Burg Remüs gegenüber öff­net sich das Assa-Thal mit ei­ner Höhle, in der ein Quell sich befindet, welcher nur des Mor­gens um 9 Uhr und Abends um dieselbe Stunde fließet. Es ist dies aber kein gewöhnliches Wasser, sondern es sollen Thrä­nen einer Bergfee sein, die hier aus dem Gesteine quellen; und daß solches geschieht, verschul­det der letzte Edle vom Schlosse Remüs, so erzählt die Sage; – und das Kind lauscht mit banger Aufmerksamkeit, wenn die Großmutter ihm erzählt von der Pracht und Herrlichkeit, die einst auf Remüs geherrscht, und wie der Leichtsinn des letzten Edelmannes dies Alles ver­scherzt und auf sein Geschlecht den Fluch geladen:
Vor langen, langen Jahren lebte auf der Burg ein junger, stattlicher Freiherr, dessen Hausfrau eine Tochter des Herren auf dem »alten Thurme« in Zuz war. Die Ehe war glücklich und mit zwei holden Knäblein gesegnet; aber der Friede des Hauses wurde bald gestört. Die Edelfrau bemerkte nämlich, daß ihr Gatte nicht mehr so liebreich und unbefangen war, wie ehedem, und seit einiger Zeit alltäglich zu bestimmten Stunden Vormittags das Schloß verließ und erst spät wieder heimkehrte. Sie fragte den Jäger, der den Herren oft begleitete, aber konnte von ihm nur er fahren, daß ein Eid seine Zunge binde. Die listige Edelfrau brachte gleichen Tages dem Jäger zwei Beutel, einen mit Gold, den andern mit grobem Sande gefüllt; der Jäger begriff, daß er zwar nicht reden mußte, verstand aber dennoch die Weisung seiner Herrin und nahm beide Beutel; das Gold behielt er für sich und den Sand streute er unvermerkt aus, als er seinen Herrn am nächsten Vormittage wieder beglei­tete. – Die Edelfrau folgte der Spur des Sandes, die sie nach der Höhle im Assa-Thale führte, und sie ging Derselben zu, bis sie davor stand. Da lag der Jäger und schlief, oder schien zu schlafen, und in der Höhle fand sie den Gatten in den Armen einer reizenden Bergfee, Beide sanft entschlummert. – Jetzt war das Räthsel gelöst. – Die Edelfrau entfernte sich ebenso sachte, wie sie gekommen, doch schnitt sie vorher von den zwei schönen Haar­flechten der Fee Eine ab und nahm sie mit sich.
Der Burgherr kam verdrießlich heim und konnte seinen Trübsinn nicht ber­gen. Doch schwieg er, wie immer.
Da schloß die Edelfrau eines Tages die Truhe auf und überreichte ihm die Haarflechte der Fee, und gab ihm mit sanften Worten die Freiheit, zu thun, was seinem Herzen gelüste. Das fiel dem Ritter schwer auf's Herz. Er ver­sprach der edeln Frau, auf Manneswort, die Fee fürderhin zu meiden, und hielt redlich Wort. – Die Haarflechte ließ er durch den Jäger nach der Höhle tragen und in Derselben niederlegen.
Am dritten Tage darauf, zur Zeit, als der Edelmann vordem nach der Höhle gegangen, vernahm der Thorwart eine gellende, weibliche Stimme, welche ausrief, der Burgherr möge nach der Höhle kommen, sonst werde sein Stamm aussterben und sein Gut in fremde Hände fallen. – Aber der Edel­mann ging nicht wieder nach der Höhle im Assa-Thale.
Da stieg die Fee in die Höhle hinab, in deren Tiefe man sie noch lange Zeit weinen hörte, und aus welcher ihre Thränen dringen, zur Stunde, wo der Geliebte zu kommen pflegte. – Von dieser Zeit an ruhte aber kein Segen mehr auf der Burg Remüs. Der Ritter fiel in einer Fehde, seine Söhne star­ben jung an einer und derselben Krankheit, in ein und derselben Stunde, und die Edelfrau schloß ihr Leben hochbetagt, kummergebeugt, als Aebtissin zu St. Maria im Münsterthale. – Das schöne Erbe fiel an dieses Kloster.
Aber noch heute fließen die Thränen der Fee in der Grotte im Assa-Thale.


So weit so gut. Da wäre noch die Frage zur teilweisen Aufklä­rung der Sage um die Edlen von Remüs zu beantworten, ob eine der Äbtissinnen im Kloster St. Maria tatsächlich die Edel­frau von Remüs gewesen ist. Ihr Mann könnte Joseph Mor, 1475 Burgherr auf Tschanüff gewesen sein. Natürlich würde die Sage um die Funtana Chistagna damit noch nicht restlos geklärt.
Was auch nicht sein muss, ja, fast schade wäre.


Wolfsflechte - Val d'Assa (Foto: Joe Meier)Abb. 51 Wolfsflechte - Val d'AssaEigentlich waren wir ja wegen der Blumen im Val d’Assa. Offen bleibt auch, ob der Edelmann von Remüs bei der je­weiligen mühsamen Besteigung, der Schlucht im Val d’Assa, hoch zu Ross oder zu Fuss, die prächtigen Orchideen wohl bewundert hat? Haben die ihn evtl. auch mühelos in die Höhe tragen lassen, oder dachte er nur an die liebreizende Bergfee? Stammen die eingangs beschriebenen wunderschönen Haar-/Bart-, Blatt- und Krustenflechten von der Bergfee? Antwor­ten, die möglicherweise in den Tiefen der Funtana Chistagna schlummern – zweifellos: sie sind dort gut aufgehoben.

Kahler Fichtenspargel Monotropa hypopitys (Foto: Joe Meier)Abb. 52 Kahler Fichtenspargel Monotropa hypopitys Kriechendes Netzblatt Goodyera repens (Foto: Joe Meier)Abb. 53 Kriechendes Netzblatt Goodyera repens Blauer Lattich Lactuca perennis (Foto: Joe Meier)Abb. 54 Blauer Lattich Lactuca perennis Wald-Wicke Vicia silvatica - Val d'Assa
 (Foto: Joe Meier)Abb. 55 Wald-Wicke Vicia silvatica - Val d'Assa Gemeine Ochsenzunge mit Bestäuber - Resgia (Foto: Joe Meier)Abb. 56 Gemeine Ochsenzunge mit Bestäuber - Resgia Kugelginster Genista radiata - Burghügel Tschanüff
 (Foto: Joe Meier)Abb. 57 Kugelginster Genista radiata - Burghügel Tschanüff

Quellen und Dank:

Viele nützliche Hinweise für diesen Beitrag durfte ich von Duri Könz, Forstingenieur ETH, Vnà entgegennehmen. Seine In­formationen brachten u.a. viel Licht in die frühere und aktuelle Forstwirtschaft und öffneten breit gefächerte Netzwerke, die mich weiterbrachten.

Weitere Informationen erhielt ich von Mario Riatsch, Revier­förster Sent, der mich vertieft in die Seilbahntechnik von da­mals einführte und demonstrierte. Er baute mit seinem Team die Valtellina-Bahn in Resgia ab und in Sur En wieder auf. Herzlichen Dank den beiden Forstfachleuten.

Für die aktuellen Fotos von der Funtana Chistagna danke ich Hans Schneebeli, Volketswil, Richard Wanner für die Gentiana amarella (siehe Teil 1) und Mario Meier für diejenigen von Resgia herzlich.

- Vorprojekt Naturwaldreservat S-chalambert. AfW Graubünden, Region Engadin, 2009

- Vertrag zum Waldreservat vom 16. Dezember 2009

- Dokumentenbuch zum Wirtschaftsplan

- Betriebsplan über die Waldungen von Ramosch 2007-2026, 2007

- Mit Schwung und ohne Motor: die Valtellina Umlaufseilbahn von Christoph Schwyzer WVS

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Aktualisiert 22. 07. 2014

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