Die Gattung Ragwurz (Ophrys) in der Schweiz
Text: Ruedi Peter
Glossar: Erläuterung der Fachbegriffe
Schon früh ist den Menschen die Ähnlichkeit gewisser Blumen mit Insekten
aufgefallen. Darauf beziehen sich auch die deutschen Namen: Bienen-Ragwurz, Fliegen-Ragwurz,
Hummel-Ragwurz, Spinnen-Ragwurz, Wespen-Ragwurz, Bremsen-Ragwurz. Die Ragwurz-Arten ahmen ein
Insekt nach, das auf einer Blüte sitzt. In der Schweiz wachsen 6 Ragwurz-Arten.
Ragwurze sind Sexual-Täuschblumen. Sie ahmen ein weibliches Insekt nach. Die
männlichen Insekten werden so angelockt:
1. Duft (weite Distanz)
2. Farbe (mittlere Distanz)
3. Struktur der Lippe (wenn das Insekt auf der Blüte sitzt)
Die Anlockung ist sehr spezifisch. Oft wird nur eine Insekten-Art angelockt.
Alle Ragwurz-Arten besitzen Wurzelknollen. Die Blätter bilden eine Rosette, die
oberen umfassen den Stängel.
Fliegen-Ragwurz (Ophrys insectifera L.)
Stängel | 15-40 cm hoch, grün oder hellgrün, dünn. |
Blütenstand | Lockerblütig, lang gestreckt, mit 2-10 Blüten. |
Brakteen | Grün, länger als der Fruchtknoten. |
Blüte | Mittelgross. |
Sepalen | Grün, eiförmig, konkav, abstehend. |
Petalen | Braun, schmal linealisch. |
Lippe | Ungehöckert, bräunlich, oft rötlich violett getönt, papillös, tief dreilappig, bis 15 mm lang, meist länger als breit, Mittellappen tief eingebuchtet, ohne Anhängsel; Mal flächig-schildförmig, graublau; Basalpartie etwas vorgewölbt, dunkel, am Grund mit zwei schwarzen Schwielen. |
Säule | Konnektiv stumpf, ohne Fortsatz; Staubbeutel intensiv rotorange; Staminodialpunkte fehlen. |
Bestäuber | Argogorytes mystaceus. |
Lebensraum | Lichte Föhren-, Föhren-Eichen-Wälder, besonders Jungwälder, Halbtrockenrasen, Magerwiesen bis in den Legföhrengürtel, steinige Abhänge, Wacholdertriften, Flussauen, auf überwachsenem Bachkies, seltener Sumpfwiesen, Flachmoore, auf sonnenexponierten oder halbschattigen, mässig trockenen bis wechselfeuchten Kalk- oder Dolomitböden. Vom Tiefland bis 1900 m NN. |
Verbreitung | Mittel- und nördliches Südeuropa (nördlich bis Skandinavien und bis Südfinnland) in der submeridionalen und temperaten Zone Europas verbreitet, im kontinentalen Osteuropa selten, in der meridionalen Zone und in der borealen Zone vereinzelt. |
Schweiz | Jura und Voralpen, selten im Wallis, fehlt im Tessin fast vollständig. |
Häufigkeit | Zerstreut, selten geworden. Durch Düngung und Intensivbewirtschaftung bedroht, schutzbedürftig. |
Blütezeit | Ende April bis Ende Juli. |
Hybriden | Mit Ophrys araneola, Ophrys holoserica, Ophrys sphegodes. |
Bemerkungen | Sie ist bei uns die Ragwurzart mit den
höchstgelegenen Wuchsorten. Ophrys insectifera kommt auch in den Alpen vor. Sie besiedelt gerne Sekundärstandorte wie Böschungen neuer oder verbreiterter Strassen, Steinbrüche usw. |
Spinnen-Ragwurz (Ophrys sphegodes MILLER)
Stängel | Bis 45 cm hoch, grün oder hellgrün. |
Blütenstand | Lockerblütig, mit 2-10 Blüten. |
Brakteen | Grün, länger als der Fruchtknoten. |
Blüte | Mittelgross bis gross. |
Sepalen | Grün oder weisslich grün, eiförmig, konkav, abstehend. |
Petalen | Dreieckig, stumpf, mit gewelltem Rand, gelbgrün bis rotbraun, unbehaart. |
Lippe | Seitenlappen mit schwachen Höckern, dunkelbraun, am Rand oft gelblich, kurz papillös behaart, am Rand länger hellbraun behaart, schwach dreilappig, 9-13,5 mm lang, 11-16,5 mm breit, ohne Anhängsel, Lippenspitze zurückgezogen; Mal mehr oder weniger H-förmig, stahlblau oder bräunlich; Basalschwielen können vorhanden sein. |
Säule | Konnektivfortsatz kurz, spitzlich; Staubbeutel gelblich; Staminodialpunkte fehlen in der Regel. |
Bestäuber | Andrena nigroaenea. |
Lebensraum | Halbtrockenrasen, Magerwiesen, buschige Hänge und Randbereiche lichter Kiefernwälder, Flussauen, auf Kalkböden oder über Kies, vom Tiefland bis 1000 m NN. |
Verbreitung | Mittel- und Südeuropa (nördlich bis Südengland, Belgien). |
Schweiz | Bündnerisches Rheintal, Tessin, selten im Wallis und im Jura. |
Häufigkeit | Sehr selten, die wenigen Lebensräume sind stark bedroht, Gefährdung durch Intensivierung der Landwirtschaft und Überbauung. |
Blütezeit | Ende März bis Ende Mai. |
Hybriden | Mit Ophrys apifera, Ophrys araneola, Ophrys holoserica, Ophrys insctifera. |
Kleine Spinnen-Ragwurz (Ophrys araneola REICHENBACH)
Stängel | 12-40 cm hoch, grün oder hellgrün. |
Blütenstand | Lockerblütig, mit 2-12 Blüten. |
Brakteen | Grün, länger als der Fruchtknoten. |
Blüte | Mittelgross. |
Sepalen | Hellgrün, selten weisslich oder rosa, eiförmig, konkav, seitliche abstehend, mittleres aufgerichtet, 8-12 mm lang. |
Petalen | Kürzer als die Sepalen, 5-8 mm lang, grün mit gelblichem Rand, am Rand oft gewellt, breit. |
Lippe | Rundlich, schwach gewölbt, meist ohne Anhängsel, schwarzbraun oder braun, dunkelrotbraun, am Rand zottig behaart; Mal in der Grundform X- oder H-förmig, grauviolett bis stahlblau, um das schwarzbraune Basalfeld greifend; charakteristisch ist der mehr oder weniger breite gelbe Rand; 6,5-9,5 mm lang, 7,5-11 mm breit. |
Säule | Konnektiv leicht zugespitzt, Fortsatz kurz, Staubbeutel gelb; Staminodialpunkte in der Regel fehlend. |
Bestäuber | Andrena latyra. |
Lebensraum | Halbtrockenrasen, lichte Föhrenwälder, auf kalkhaltigen Böden. Vom Tiefland bis 800 m NN. |
Verbreitung | Nordostspanien, Süd- (hier als Ophrys virescens) und Mittelfrankreich, nördlich bis Thüringen, Italien, Istrien, Dalmatien (hier als Ophrys tommasinii). |
Schweiz | Jura. |
Häufigkeit | Selten, in einigen Juragegenden zerstreut. Durch Düngung und Beweidung gefährdet. |
Blütezeit | Ende März bis Mai. |
Hybriden | Mit Ophrys insectifera, Ophrys holoserica, Ophrys sphegodes. |
Bemerkungen | Ophrys araneola ist unsere frühestblühende Ragwurz-Art; es gibt einige ähnliche Arten in anderen Gebieten (Italien, Frankreich, Jugoslawien), deren Zuordnung unsicher ist. |
Hummel-Ragwurz (Ophrys holoserica [BURM. FIL.] W. GREUTER)
Stängel | 15-30 cm hoch, grün oder hellgrün. |
Blütenstand | Lockerblütig, mit 2-10 Blüten. |
Brakteen | Grün, länger als der Fruchtknoten. |
Blüte | Gross. |
Sepalen | Weiss oder rosa, rotviolett, selten grün, eiförmig, konkav, abstehend, 10-14 mm lang, 5,5-8,5 mm breit. |
Petalen | Dreieckig, geöhrt, 3-6 mm lang, behaart. |
Lippe | Gehöckert, hell- bis dunkelbraun, bräunlich, kurz behaart, papillös, meist ungeteilt, selten dreilappig, 8,5-13 mm lang, 13,5-20 mm breit, Anhängsel gross, fleischig, gelblich, vorwärts bis abwärts gerichtet; Mal X- oder H-förmig, reich gegliedert, grau-violett oder bräunlich, mit weisslicher oder gelblicher Umrandung: flächig-schildförmig, graublau; Basalpartie etwas vorgewölbt, dunkel, am Grund mit zwei schwarzen Schwielen. |
Säule | Konnektivfortsatz kurz, spitzlich; Staubbeutel gelb; Staminodialpunkte vorhanden. |
Bestäuber | Eucera longicornis. |
Lebensraum | Lichte Föhren-Eichenwälder, Trockenrasen, Magerwiesen, grasige Dämme, sonnige buschige Hügel, Weiden, vornehmlich auf mässig trockenen bis frischen Kalkböden; vom Tiefland bis gegen 1400 m NN. |
Verbreitung | Mittel- und Südeuropa (nördlich bis Südostengland, Irland, Holland, Belgien, Hessen, Mähren). |
Schweiz | Jura, bündnerisches Rheintal, selten im Wallis und im Tessin. |
Häufigkeit | Selten, stark bedroht, Lebensräume müssen geschützt werden. Durch Düngung und Intensivbewirtschaftung bedroht, schutzbedürftig. |
Blütezeit | Mai bis Mitte Juli. |
Hybriden | Mit Ophrys apifera, Ophrys araneola, Ophrys insectifera, Ophrys sphegodes. |
Bemerkungen | Ophrys holoserica ist ein typischer Vertreter der Trockenrasen. |
Spätblühende Hummel-Ragwurz (Ophrys elatior GUMPRECHT ex H. F. PAULUS)
Stängel | Grün oder hellgrün, bis 90 cm hoch. |
Blütenstand | Lockerblütig, mit 6-18 Blüten, Blütenabstand gross. |
Blätter | Zur Blütezeit oft vertrocknet oder verdorrt. |
Blüte | Wie bei der Hummelragwurz. Mittelgross. |
Lippe | Gehöckert, hell- bis dunkelbraun, bräunlich, kurz behaart, papillös, meist ungeteilt, selten dreilappig, 6-10 mm lang, 8,5-14 mm breit. |
Lebensraum | Trockenrasen und Volltrockenrasen, auf sehr trockenen Böden; vom Tiefland bis 400 m NN. |
Verbreitung | Mittel- und Südeuropa (nördlich bis Südostengland, Irland, Holland, Belgien, Hessen, Mähren). In der oberrheinischen Tiefebene von Basel bis Strassburg, in der Umgebung von Genf, im französischen Departement Ain, am Gardasee, in den italienischen Regionen Marche, Abruzzo und Molise, in Istrien; das Verbreitungsgebiet ist nur ungenügend bekannt, weil ähnliche spät blühende und kleinblütige Arten existieren. |
Schweiz | Nur im Kanton Genf. |
Häufigkeit | Sehr selten; Lebensräume müssen geschützt werden. |
Blütezeit | Anfang Juli bis September. |
Hybriden | Mit Ophrys apifera. |
Bemerkungen | Ophrys elatior ist seit den 70er-Jahren bekannt. Damals wurde von der Spätblühenden Hummel-Ragwurz aus der Gegend nördlich von Basel berichtet. Später hat Gumprecht diese ungültig als Ophrys elatior beschrieben. Paulus hat dann den Namen validiert. |
Bienen-Ragwurz (Ophrys apifera HUDSON)
Stängel | 20-50 cm hoch, grün oder hellgrün. |
Blütenstand | Lockerblütig, mit 3-10 Blüten. |
Brakteen | Grün, länger als der Fruchtknoten. |
Blüte | Mittelgross bis gross. |
Sepalen | Rosa, selten weiss, eiförmig, konkav, abstehend. |
Petalen | Dreieckig, grünlich oder hellbraun, 2,5-7 mm lang, behaart. |
Lippe | Tief dreilappig, Seitenlappen mit spitzen Höckern, dunkelbraun, am Rand lang behaart, Seitenlappen zurückgeschlagen, Mittellappen stark gewölbt. Anhängsel gross, gelblich, nach unten gebogen, liegt unter der Lippe, d. h. von oben nicht sichtbar; Mal das hellbraune oder orangebraune Basalfeld umfassend, braun mit weisslicher Umrandung, isolierte Fortsätze in Richtung Lippenspitze und gegen die Ansatzstelle der Seitenlappen; Basalschwielen vorhanden. |
Säule | Konnektivfortsatz lang, S-förmig gebogen; Staubbeutel gelblich. |
Bestäuber | Da bei uns kein Bestäuber vorhanden ist, bestäubt
sich Ophrys apifera selbst. Sie ist obligat autogam. Diese Inzucht mag ein Grund sein, dass
viele konstante Varianten auftreten. Die Pollinien biegen sich gegen die Narbe, und der Pollen gelangt so auf die Narbe. |
Lebensraum | Trockenrasen, Magerwiesen, lichtes Gebüsch und lichte Wälder, selten Flachmoorwiesen; auf mässig trockenen bis wechselfeuchten kalkreichen Böden. Ziemlich wärmeliebend; von tiefen Lagen bis 1200 m NN. |
Verbreitung | Süd- und Mitteleuropa (im Norden bis Südengland, Irland, Belgien), Nordafrika, Kleinasien. |
Schweiz | Jura, selten um die Mittellandseen, selten auch im Wallis, im bündnerischen Rheintal und im Tessin. |
Häufigkeit | Selten; Gefährdung durch Intensivierung der Landwirtschaft und Überbauung. |
Blütezeit | Ende Mai bis Juli. |
Hybriden | Mit Ophrys elatior, Ophrys holoserica. |
Variabilität | Diese Varianten können in jeder Population vorkommen: var. aurita Petalen verlängert und bräunlich oder grünlich, sonst wie die Nominatform. var. friburgensisPetalen wie die Sepalen. var. botteronii Petalen wie die Sepalen, Lippe und das Mal aufgelöst. var. trolliiLippe sehr schmal und grünlich. var. bicolor Lippe ohne Mal, zweifarbig, oben hellbraun, unten braun. var. chlorantha Lippe grün, Sepalen weiss. Es gibt auch grüne var. friburgensis und var. botteronii. Zwischen friburgensis und botteronii bestehen Übergangsformen. |
Bemerkungen | Die Zahl der jährlich zur Blüte kommenden Pflanzen schwankt erheblich. Ophrys apifera ist in Süddeutschland in Ausbreitung begriffen. Sie besiedelt hier neu auch Obstgärten und Wiesen in Gärten usw. |
Weiterführende Information
Literatur
BAUMANN, H., S. KÜNKELE (1988): Die Orchideen Europas. Stuttgart.
BUTTLER, K. P. (1986): Orchideen. München.
DELFORGE, P. (2001): Guide des orchidées d'Europe, d'Afrique du Nord et du Proche-Orient. 2. Auflage. Lausanne.
REINHARD, H. R., P. GÖLZ, R. PETER, H. WILDERMUTH (1991): Die Orchideen der Schweiz und angrenzender Gebiete. Egg (Schweiz).
SCHMID, W. (1998): Orchideenkartierung in der Schweiz. - Journal Europäischer Orchideen 30(4): 689-858.
SUNDERMANN, H. (1980): Europäische und mediterrane Orchideen. Hildesheim.
Internet
http://www.aho-bayern.de
http://www.orchid-rhoen.de/art01.htm
http://www.orchids.de/
http://www.liparis.net/
http://ibelgique.ifrance.com/ophrys/list.htm
Ruedi Peter
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Aktualisiert 05. 03. 2009