Die Gattung Dactylorhiza in der Schweiz
Text: Ruedi Peter
Glossar: Erläuterung der Fachbegriffe
Einleitung
Eigentlich macht die ganze Gattung Dactylorhiza grosse Probleme. Die beschriebenen Arten
stehen sich morphologisch oft sehr nahe. Hinzu kommt ihre ausgeprägte Neigung zur
Hybridisierung. Da die Hybriden in der Regel fertil sind, kommt es zur Ausbildung von
Hybridschwärmen, ja ganzen Hybridpopulationen, in denen es dann wiederum zu
Rückkreuzungen kommt. Es kann auch vorkommen, dass die Hybriden durch die Kombination
von Genen robuster sind und an bestimmte Standorte besser angepasst sind als die Eltern.
Dann können die Eltern sogar ganz verschwunden sein und nur noch die Hybriden stehen da. Trotzdem: es gibt nur wenige Arten. In letzter Zeit wurden nur wenige neue Taxa beschrieben.
Am Besten ordnet man die Pflanzen einzelnen Arten zu. Dann konzentriert man sich auf
die schwierigen Pflanzen.
Detaillierter Bestimmungsschlüssel am Ende des Artikels.
Die Arten der Gattung Dactylorhiza in der Schweiz
Dactylorhiza cruenta (O. F. MÜLLER) SOÓ
Lebensraum | ausgesprochen kalkliebend, Hangmoore, Sumpf-wiesen, Quellmoore, selten unter 900 m NN |
Stängel | hohl, unten grün, oben rot überlaufen |
Blätter | abstehend oder gebogen, kurz, breit, beidseitig gefleckt |
Blütenstand | walzlich, mit zahlreichen Blüten |
Blüten | hell- bis dunkelrosa, klein |
Blütenblätter | die seitlichen äusseren aufrecht, das unpaare Sepalum und die Petala über die Säule geneigt |
Lippe | schwach dreilappig, dunkle Schleifenzeichnung |
Sporn | dick, konisch, vom Fruchtknoten weggebogen |
Blütezeit | Juni bis August |
Verbreitung | Osteuropa, Nordeuropa, nördliches Mitteleuropa,
Ostseegebiet, Alpen, ausserdem temperate und boreale Zone Asiens Schweiz: Kanton Graubünden, sehr selten Wallis und Berner Oberland |
Bemerkungen | Art mit nordisch-alpinischer Verbreitung (Skandinavien und Hochalpen), gute Frischwasserzufuhr notwendig |
Dactylorhiza fuchsii (DRUCE) SOÓ
Lebensraum | viele verschiedene Standorte, auch auf trockenen Standorten, Wiesen, Föhrenwälder, auch an Strassenrändern (Sekundärstandorte) |
Stängel | mit Mark gefüllt, unten grün, oben rot überlaufen |
Blätter | abstehend, lang, breit, oberseits gefleckt, am Grund konzentriert, unterstes Blatt breit, stumpf |
Blütenstand | mit zahlreichen, dicht stehenden Blüten, zu Beginn kegelförmig |
Blüten | hellrosa, selten dunkelrosa, mittelgross |
Blütenblätter | die äusseren Sepala aufrecht, das unpaare Sepalum und die Petala über die Säule geneigt |
Lippe | dreilappig, Mittellappen gut abgesetzt und lang, mit einer dunklen Schleifenzeichnung |
Sporn | zylindrisch |
Blütezeit | Juni bis August |
Verbreitung | Europa, Asien, überall verbreitet und nicht selten |
Bemerkungen | kommt an verschiedensten, auch trockenen, Standorten vor; sehr bastardierungsfreudig |
Dactylorhiza incarnata ssp. incarnata (L.) SOÓ
Lebensraum | nur auf nassen Standorten, Flachmoorwiesen |
Stängel | hohl, hellgrün |
Blätter | aufrecht, meist ungefleckt, das oberste erreicht den Blütenstand, Spitze kapuzenförmig eingezogen, Stängel an der Basis umfassend |
Blütenstand | zahlreiche, kleine und dicht stehende Blüten |
Blüten | fleischfarbig (hellrosa), klein |
Blütenblätter | die äusseren Sepala aufrecht, das unpaare Sepalum und die Petala über die Säule geneigt |
Lippe | Mittellappen kaum abgesetzt, dreilappig, mit einer dunklen Schleifenzeichnung |
Sporn | dick, kegelförmig, kürzer als der Fruchtknoten |
Blütezeit | Mai bis Juni |
Verbreitung | Europa und Vorderasien von der submeridionalen zur
borealen Zone, vom Atlantik bis fast zum Pazifik, Ostsibirien, Kaukasus und fehlt im
Mittelmeergebiet mit Ausnahme Nordspaniens, Norditaliens, des Nordbalkans und NW-Türkei
Schweiz: Östliches Mittelland, selten Alpengebiet, Tessin |
Bemerkungen | braucht viel frisches Wasser, steht z. T. direkt im Wasser |
Dactylorhiza incarnata ssp. pulchella (DRUCE) SOÓ
Lebensraum | wie Dactylorhiza incarnata ssp. incarnata, aber nicht in hohen Lagen |
Stängel | hohl, hellgrün |
Blätter | aufrecht, kürzer und schmaler als bei Dactylorhiza incarnata ssp. incarnata, das oberste erreicht den Blütenstand, Spitze kapuzenförmig eingezogen, den Stängel an der Basis umfassend |
Blütenstand | mit zahlreichen, kleinen dicht stehenden Blüten |
Blüten | dunkler als bei D. incarnata ssp. incarnata, klein |
Sporn | dick, kegelförmig |
Verbreitung | nur an wenigen Standorten zusammen mit der Dactylorhiza incarnata ssp. incarnata |
Bemerkungen | blüht 2-3 Wochen nach der Dactylorhiza incarnata ssp. incarnata |
Dactylorhiza lapponica (LAEST. EX HARTMANN) SOÓ
Lebensraum | nur auf nassen Standorten, lehmigen Rutschhängen auf Kalk oder Schiefer, Bachufer, selten auf Flachmoorwiesen |
Stängel | verhältnismässig dick, hohl, unten grün, oben rot überlaufen, 10-30 cm hoch |
Blätter | 2-5, meist 3, kurz, abstehend, oberseits gefleckt |
Blütenstand | mit wenigen, locker stehenden Blüten |
Blüten | rot-dunkelrot, mittelgross |
Blütenblätter | die Sepala aufrecht, das unpaare Sepalum und die Petala über die Säule geneigt |
Lippe | dreilappig bis ganzrandig herzförmig, 4.5-8 mm lang und 7-10 mm breit; Sporn |
Sporn | kegelförmig, gerade bis leicht abwärts gebogen |
Blütezeit | Juni bis August |
Verbreitung | Mittel-, und Nordskandinavien, Grossbritannien,
Schweiz in den Alpen, Deutschland, Österreich und Italien (Dolomiten). Schweiz: Voralpen und Alpen |
Bemerkungen | wurde erst spät von REINHARD und KALTEISEN
für die Alpen nachgewiesen; ist sicher verbreiteter als man heute weiss. Sehr variabel; es bestehen Übergänge des Formenspektrums zu D. majalis und D. traunsteineri |
Dactylorhiza maculata (L.) SOÓ
Lebensraum | nur auf nassen Standorten, auch in Hochmooren |
Stängel | dünn, mit Mark gefüllt |
Blätter | lang und schmal, aufrecht, meist ungefleckt, das oberste erreicht den Blütenstand |
Blütenstand | mit wenigen und dicht stehenden Blüten |
Blüten | weisslich oder rosa, mittelgross |
Blütenblätter | die äusseren Sepala aufrecht, das unpaare Sepalum und die Petala über die Säule geneigt |
Lippe | Mittellappen kaum abgesetzt, dreilappig, mit einer dunklen Schleifenzeichnung |
Sporn | dick, kegelförmig, kürzer als der Fruchtknoten |
Blütezeit | Juni bis August |
Verbreitung | In Europa v. a. im Nordwesten und Norden Schweiz: sehr selten im Jura |
Dactylorhiza majalis (REICHENB.) P. F. HUNT & SUMMERHAYES
Lebensraum | nasse und trockene Standorte, z.B. nasse Bergwiesen |
Stängel | 15-40 cm hoch, Stängel dick, hohl, im oberen Bereich kantig und dunkel purpurn überlaufen |
Blätter | Laubblätter 3-6, mehr oder weniger breit eiförmig-lanzettlich, meist oberseits gefleckt, oberstes Blatt erreicht den Blütenstand |
Blütenstand | zylindrisch, dichtblütig |
Blüten | Grösse sehr variabel, meist relativ gross, hell bis dunkel purpurn oder purpurrot |
Blütenblätter | die äusseren Sepala aufrecht, das unpaare Sepalum und die Petala über die Säule geneigt |
Lippe | Mittellappen kaum abgesetzt, dreilappig, mit einer dunklen Schleifenzeichnung |
Sporn | relativ dick, warzlich-konisch, schwach abwärts gebogen. |
Blütezeit | Mai bis August |
Verbreitung | Submeridionales und temperates Europa (nördlich
bis Südschweden, südlich bis Nordspanien, in Italien nur in den Alpen),
Kaukasus Schweiz: häufig in den Voralpen, im Jura seltener |
Bemerkungen | in allen Belangen sehr variabel. Extreme
Erscheinungsformen, z. B. mit schmaleren, ungefleckten Blättern oder mit relativ
kleinen Blüten, können leicht missdeutet werden, gehören aber in den
Variationsbereich der Art. Hybridisiert sehr gerne, z. B. mit D. fuchsii, D. lapponica und D. traunsteineri. In den Alpen wachsen Pflanzen mit grossen, schwach oder ungelappten Lippen, Blätter mit grösster Breite gegen die Spitze (ssp. alpestris (PUGSLEY) SENGHAS) |
Dactylorhiza ochroleuca (BOLL) AVERYANOV
Lebensraum | auf nassen Standorten in tiefen Lagen, Streuwiesen |
Stängel | 25-70 cm hoch, Stängel dick, hohl, im oberen Bereich kantig, hellgrün |
Blätter | Laubblätter hellgrün, ungefleckt, gefaltet, Spitze kapuzenförmig eingezogen, den Blütenstand erreichend |
Blütenstand | zylindrisch, dichtblütig |
Blüten | klein und dicht stehend, hellgelb |
Blütenblätter | die äusseren Sepala aufrecht, das unpaare Sepalum und die Petala über die Säule geneigt |
Lippe | dreilappig, Seitenlappen nach unten geschlagen, das Zentrum dunkler Gelb |
Sporn | relativ dick, walzlich bis konisch, abwärts gebogen. |
Blütezeit | Mai bis Juni, 2-3 Wochen nach D. incarnata |
Verbreitung | Mittel- und Nordeuropa Schweiz: nur im Mittelland |
Bemerkungen | Hybriden selten mit Dactylorhiza incarnata |
Dactylorhiza sambucina (L.) SOÓ
Lebensraum | auf trockenen Standorten in hohen Lagen, auf sauren Böden, auf Urgestein, d.h. auf Granit und Gneis |
Stängel | 10-30 cm hoch, Stängel dick, hohl, robust |
Blätter | 4-7, am Grund gedrängt, lanzettlich, 5-12 cm lang und 1-2.5 cm breit, saftig grün, glänzend |
Blütenstand | zylindrisch, mit wenigen Blüten |
Blüten | von hellgelber oder roter Grundfarbe, mittelgross |
Blütenblätter | die äusseren Sepala aufrecht, das unpaare Sepalum und die Petala über die Säule geneigt |
Lippe | Lippe mit roter Schleifenzeichnung oder feinen roten Punkten, schwach dreilappig oder ungeteilt |
Sporn | dick, walzlich, abwärts gebogen, so lang wie der Fruchtknoten |
Blütezeit | April bis Juni |
Verbreitung | Mittel- und Nordeuropa Schweiz: Alpen (Kantone Wallis, Graubünden, Tessin, Bern), selten im Hochjura |
Dactylorhiza savogiensis D. TYTECA & GATHOYE
Beschreibung | robuste Pflanze, bis 30 cm hoch, Stängel kräftig und kantig |
Blätter | stark gefleckt, lanzettlich, bis 15 cm lang, oberstes erreicht Blütenstand kaum oder nicht |
Blütenstand | Blütenstand zylindrisch, dicht stehende Blüten |
Blüten | mittelgross, rosa |
Blütenblätter | seitliche abstehend, die inneren sind über die Säule geneigt |
Lippe | Zeichnung wenig auffällig, da sie wenig anders gefärbt ist als die übrige Lippe, dreilappig bis fast ganzrandig, Rand z. T. aufgebogen, Sporn parallel zum Fruchtknoten, wenig kürzer als der Fruchtknoten |
Blütezeit | Juni bis August |
Verbreitung | Schweiz Alpen; auf Urgestein, im Wallis, im Tessin und im Kanton Graubünden, bis 2500 m NN |
Biotop | feuchte und nasse Bergwiesen, entlang von Bächen |
Bemerkungen | wurde mit D. fuchsii gleich gesetzt; erst seit kurzem bekannt; macht oft den Eindruck von Kreuzungen von D. fuchsii und D. majalis |
Dactylorhiza traunsteineri (SAUTER EX REICHENB.) SOÓ
Lebensraum | nährstoffreiche Flachmoore, Hangmoore, Endmoränenmoore, wechselnasse Magerwiesen, Rutschhänge, auf kalk- oder basenreichen Böden, vom Tiefland bis 2100 m NN |
Stängel | 10-40 cm hoch, markig, im oberen Bereich kantig und rotviolett, Pflanze schlank |
Blätter | 3-4, am Grund gedrängt, steil aufwärts gerichtet, gefleckt oder ungefleckt |
Blütenstand | zylindrisch, mit wenigen Blüten mit 5-15 Blüten |
Blüten | dunkelrosa oder purpurrot, mittelgross |
Blütenblätter | die äusseren Sepala aufrecht, das unpaare Sepalum und die Petala über die Säule geneigt |
Lippe | heller Mittelteil mit deutlicher Schleifenzeichnung oder feine rote Punkte, meist deutlich dreilappig |
Sporn | konisch, horizontal oder leicht abwärts gebogen, etwas kürzer als der Fruchtknoten |
Blütezeit | Mai bis Juli |
Verbreitung | Nordeuropa, Alpen und Alpenvorland Schweiz: Voralpen, seltener in den Alpen |
Bemerkungen | wegen der Vielgestaltigkeit eine kritische Art; in Skandinavien wird eine dortige Sippe, als D. curvifolia (russowi) bezeichnet, wobei in heterogenen Populationen aus mehreren Arten der Gattung Dactylorhiza gelegentlich ähnliche Pflanzen (in wenigen Exemplaren) auftreten. Es entspricht einem unsinnigen Artverständnis, solche Einzelpflanzen einer anderen Art zuzurechnen. Dies ist aber immer wieder geschehen, wodurch die Vielzahl von historischen Meldungen und die Namen für diese Art erheblich angewachsen sind; es handelt sich fast ausnahmslos um Pflanzen, die hybridogenen Ursprungs sind und das Erscheinungsbild der D. traunsteineri in einigen Merkmalen imitieren. |
Bestimmungsschlüssel der Dactylorhiza-Arten in der
Schweiz
(nie nur eine Pflanze bestimmen, denn eine ist
keine!)
1. | Pflanze mit hellgelben Blüten | 2 |
Pflanze nicht mit hellgelben Blüten | 3 | |
2. | Pflanze feuchter oder nasser Standorte, nur in tiefen Lagen Blüten ungefleckt | Dactylorhiza ochroleuca |
Pflanze in trockenen Bergwiesen, Blüten mit roten Flecken | Dactylorhiza sambucina | |
3. | Stängel vollmarkig | 4 |
Stängel hohl | 6 | |
4. | Stängel mit 3-5 Blättern, zweitunterstes Blatt 6-15 mal so lang wie breit, alle Blätter im untersten Drittel des Stängels, Blütenstand locker mit wenigen Blüten, Blüten dunkelrosa, mittelgross | Dactylorhiza traunsteineri |
Pflanze mit anderen Merkmalen | 5 | |
5. | Stängel 5-10 blättrig, das zweitunterste Blatt 3-8 mal so lang wie breit, unterstes Blatt zugespitzt | Dactylorhiza maculata |
das unterste Blatt stumpf | Dactylorhiza fuchsii | |
Pflanze mit anderen Merkmalen | 6 | |
6. | Lippe gross, Blätter oberseits gefleckt in feuchten oder nassen Bergwiesen | Dactylorhiza majalis |
Lippe gross, Blätter oberseits ungefleckt, auf trockenen Bergwiesen | Dactylorhiza sambucina | |
in Sumpfwiesen der Alpen, Pflanze mit gefleckten Blättern, Lippe fast ungeteilt, Rand flach oder hochgebogen | Dactylorhiza savogiensis |
[Anmerkung: Im aktuellen Bestimmungsschlüssel fehlen noch D. cruenta, D. incarnata ssp. incarnata bzw. ssp. pulchella und D. lapponica. Diese Arten werden noch eingearbeitet.]
Literatur
BAUMANN, H., S. KÜNKELE (1988): Die Orchideen Europas. Stuttgart.
BUTTLER, K. P. (1986): Orchideen. München.
DELFORGE, P. (2001): Guide des orchidées d'Europe, d'Afrique du Nord et du Proche-Orient. 2. Auflage. Lausanne.
REINHARD, H. R., P. GÖLZ, R. PETER, H. WILDERMUTH (1991): Die Orchideen der Schweiz und angrenzender Gebiete. Egg (Schweiz).
SCHMID, W. (1998): Orchideenkartierung in der Schweiz. - Journal Europäischer Orchideen 30(4): 689-858.
SUNDERMANN, H. (1980): Europäische und mediterrane Orchideen. Hildesheim.
Internet
www.orchideen-kartierung.de/germany/
www.orchis.de/orchis/frames/fframe21.php3
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Aktualisiert 05. 03. 2009
